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Kulturelles Defizit in Lorsch verringern
- Vor 20 Jahren wurde der SPD-Kulturkreis gegründet
Was man sich heute, angesichts des Museumszentrums, des Weltkulturerbes Kloster Lorsch, des Musiktheaters "Rex", der Kleinkunstbühne "Sapperlot" und zahlreicher Konzerte und Theateraufführungen kaum noch vorstellen kann, war im Jahr 1985 noch Realität. "Kultur" gab es in Lorsch nur vereinzelt. Natürlich war die Klosterstadt keine Kulturwüste, eine Hochburg war sie aber auch nicht. Deshalb wurde vor zwanzig Jahren bei einer SPD-Mitgliederversammlung beschlossen, einen "SPD-Kulturkreis" zu gründen, "um das Defizit auf diesem Gebiet in Lorsch zu verringern". Geplant war, kulturelle Veranstaltungen für die gesamte Bevölkerung zu organisieren, nicht nur für SPD-Mitglieder. Formuliert und begründet worden war der Antrag von Jochen Franke, dem Mann mit den vielen Ideen und einer großen Schaffenskraft. Er war bis zu seiner schweren Erkrankung 1994 auch der Motor des Kulturkreises. In den vergangenen Jahren wurden die Aktivitäten zurückgefahren, da sich das Angebot in Lorsch erheblich verbessert hat.
Die Idee zur Gründung des SPD-Kulturkreises stammte von Jochen Franke, Mitte, hier bei der Gründungsversammlung, mit, v.l., Inge Daniel, Marlene Zarges, Claus Schubert.
Es begann noch im gleichen Jahr mit einer Fahrt zum Hambacher Schloss, der Wiege der deutschen Demokratie, verbunden mit einer Weinprobe in der Pfalz. Weinproben gab es dann im Laufe der Jahre noch mehrere, meist verknüpft mit einer vorhergehenden Städtetour.
Eine Fahrt zum Hambacher Schloss, der Wiege der deutschen Demokratie, war die Auftaktveranstaltung des SPD-Kulturkreises.
Theaterfahrten, Ausstellungen, Konzerte
Ein bis zwei Theaterfahrten pro Jahr gehörten fest ins Programm. Die erste Fahrt, der Bus war bei allen Theaterbesuchen fast immer voll besetzt, führte nach Mainz. Es gab Dario Fo's "Offene Zweierbeziehung". Heidelberg (Cyrano de Bergerac), "Klapsmühl' in Mannheim, "Unterhaus" Mainz (Kabarett), Pfalzbautheater Ludwigshafen (Sommernachtsraum), "Halb-Neun-Theater" Darmstadt (Kabarett), Stuttgart (Musical), Heppenheimer Festspiele (Der Geizige), Bochum (Starlight-Express), Frankfurt (Drei-Groschen-Oper) waren einige Stationen in den folgenden Jahren. Die Chronik ist ab dem Jahr 1993 kaum noch weitergeführt worden.
Der Kulturkreis besuchte unter anderem die "Toulouse-Lautrec-Ausstellung" in Tübingen, die "Chagall"-Ausstellung im Hack-Museum in Ludwigshafen und in diesem Jahr die Ausstellung "Tutenchamun" in Bonn.
Die Beteiligung an der Fahrt zur weltberühmten Ausstellung "Tut-anchamun" im Jahr 2005 war ausgesprochen gut.
Es wurden aber auch eigene Ausstellungen organisiert. So stellten die Polin Emilia Klaus und der Lorscher Künstler Armin Ziemann ihre Werke in Lorsch aus. Erst durch einen Gerichtsbeschluss war es dem SPD-Kulturkreis möglich, im Jahr 1991 Werke des weltbekannten Grafikers Klaus Staeck im Nibelungensaal des Rathauses auszustellen. Er war der eher konservativen politischen Mehrheit in Lorsch suspekt. Eine seiner bekannten provokativen Postkartengrafiken trug den Spruch "Arbeiter, die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen". Aus Anlass der Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren wurde 1992 im Straßenbaudepot ein "Multikulturelles Kolumbusfest" organisiert.
Es gab Konzerte des Renaissance-Ensembles Frankfurt in der Nibelungenhalle, unter anderem mit "Trink- und Saufliedern der Renaissance", ein Barock-Konzert mit dem "Duo Panormo" im Nibelungensaal, Jiddische Musik mit der Gruppe "Oif Simches" und mit Sarah Bloom aus Heidelberg.
Kampf gegen das Vergessen
Der Gedenkstein für die jüdischen Mitbürger von Lorsch, die im Dritten Reich von den Nazis umgebracht oder vertrieben worden sind, ging auf eine Initiative des verstorbenen CDU-Stadtrates Paul Schnitzer zurück. Er hatte aber Schwierigkeiten bei seinen eigenen politischen Freunden, einen geeigneten Platz zu finden. Durch die Initiative von Jochen Franke und des SPD-Kulturkreises wurde dieses Thema aber am Kochen gehalten, bis es zu einer einigermaßen vernünftigen Lösung führte. Der Kulturkreis rief auch die Veranstaltungen zur Erinnerung an die "Reichskristallnacht" ins Leben, unter anderem mit den oben beschriebenen Konzertveranstaltungen in den Jahren 1992/93. Heute werden diese Gedenkstunden von der Stadt Lorsch durchgeführt. Schon 1988 gab es aber am 9. November einen Vortrag von Thea Altares, einer Betroffenen, zum Thema "Brauchen wir Synagogen?" 1989 folgte ein Besuch des "Juden-Friedhofs" in Alsbach und eine Führung in der Darmstädter Synagoge. Der Frankfurter Schriftsteller Valentin Senger, ein Hesse jüdischen Glaubens, las aus seinem autobiografischen Buch "Kaiserhofstraße 12", wo er die Geschichte seiner Familie erzählte, die in der Nazizeit in Frankfurt überlebt hatte. Es gab 1993 aber auch einen Vortrags- und Diskussionsabend zum Thema "Vor 60 Jahren begann der rechte Terror".
Die Opfer des Naziterrors in Lorsch nicht vergessen, ein Anliegen des SPD-Kulturkreises zur Reichspogromnacht, hier mit der Sängerin Sarah Bloom, Dritte von links.
Partnerschaft und Wiedervereinigung
Das Thema Europäische Union durch Städtepartnerschaften unterstützte auch der SPD-Kulturkreis. 1988 wurde eine erste Bürgerfahrt in die belgische Partnerstadt Zwevegem organisiert, der im Laufe der Jahre noch einige Fahrten folgten. Durch die Kontakte zur "Culturelle Centrale", einer Art sozialdemokratischer Kulturverein in Zwevegem, waren dann auch Gegenbesuche in Lorsch möglich.
Eine Begegnung der besonderen Art an der noch bestehenden, aber schon liberalisierten DDR-Grenze.
Im Rahmen der sich abzeichnenden und dann erfolgten Wiedervereinigung Deutschlands sind drei Berlin-Fahrten zu verzeichnen. 1990 fuhr der Kulturkreis gleich drei Mal nach Eisenach, mit Besichtigung der Wartburg. Auch die SPD-Patengemeinde Wutha-Farnroda wurde später besucht, ebenso wie die Lorscher Patengemeinde Thal und auch Erfurt stand auf dem Programm.
Vorträge in Lorsch
Zu den unterschiedlichsten Themen wurden Veranstaltungen angeboten. So berichteten Helgard und Jochen Franke mit einer Dia-Schau über eine "Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn nach China", Hermann Schunder zeigte "Im Reich der Inkas" und Norbert Weinbach "Heiliges Land Israel". Ein Lichtbildvortrag informierte über den "Sowjetischen Orient", über "China heute" (1992) und Werner Backhaus zeigte eine Reise "Ins Land des Dschingis Khan". Prof. Dr. Rudolf Hoberg referierte humorvoll über "Entwicklungstendenzen in der deutschen Sprache", Dr. José Ramirez sprach zu dem Thema "Bolivien als Beispiel der Beziehungen der Dritten Welt zu den Industrieländern" und Dieter Thie berichtete von seinen Erfahrungen im Orient, "Sozialer Wandel - Entwicklung und Widerspruch", aufgezeigt am Beispiel von Saudi Arabien und Oman.
Kinder waren nicht vergessen
Nicht vergessen waren die Lorscher Kinder in den ersten zehn Jahren des Bestehens des Kulturkreises. Ausgehend von den positiven Erfahrungen der "Elternaktion Abenteuerspielplatz" (Vorläufer der Lorscher Ferienspiele), einer ebenfalls sozialdemokratisch geprägten Elterninitiative, bot der Kulturkreis in jedem Jahr Fahrten zu den Karl-May-Festspielen nach Elspe im Sauerland an, fuhr zwei Mal im Jahr mit den Kindern in ein Spaßbad, meist ins Aquadrom nach Hockenheim, besuchte das Technikmuseum, das Planetarium und den Weihnachtsmarkt in Mannheim und führte auch ein Bildersuchspiel "Kennst Du Deine Stadt?" in Lorsch durch. IM Rahmen der Ferienspiele gab es Fahrten in den Mannheimer Luisenpark, auf die Burg Zwingenberg im Neckartal, zum Römerkastell Saalburg und in den Hessenpark in Neu-Anspach.
Viel Spaß hatten die Lorscher Kinder beim Besuch von Spaßbädern, hier im Aquadrom in Hockenheim.
Die Karl-May-Festspiele in Elspe lockten Groß und Klein.
Städtefahrten
Bis heute werden Städtefahrten und Besichtigungen kultureller Einrichtungen durchgeführt. Besucht wurden die mittelalterliche Stadt Wetzlar, Speyer, Worms, Museumsufer und Römerberg in Frankfurt, Colmar im Elsass, das ehemalige Römerkastell Trier, Bamberg, das barocke Bruchsal, Dinkelsbühl, Heidelberg, Ladenburg, das Jagdschloss Kranichstein war im Programm, das Schloss Lichtenberg, eine Schiffsfahrt auf dem Neckar, mit Besuch der Festung Dilsberg, der Frankfurter Flughafen wurde besichtigt, es gab Mai- und Herbstwanderungen in der Pfalz und im vorderen Odenwald.
Ein Stück Lorscher Geschichte
Nicht alles, was zu den Hochzeiten des Lorscher SPD-Kulturkreises veranstaltet wurde, meist organisiert von einigen engagierten Frauen, kann im Rahmen eines solchen Berichtes wiedergegeben werden. Die Geschichte des SPD-Kulturkreises ist aber auch ein Stück der Geschichte unserer Heimatstadt. Obwohl der Zusatz "SPD" vor dem Wort "Kulturkreis" bis heute bewusst nicht gestrichen worden ist und der Kulturkreis noch immer kein Verein ist, sondern eine lose Vereinigung kulturell interessierter Menschen, so steht er doch allen Bürgerinnen und Bürgern offen, nicht nur Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei. Die Teilnahme an den Aktivitäten vergangener Jahre hat gezeigt, dass dieses Konzept aufgegangen ist. Berührungsängste sind unbegründet.
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